… wird nicht immer gut. Die NZZ hat sich die ganze Anklageschrift beschafft.
Das Bezirksgericht Zürich machte nach Erhalt der Anklageschrift gegen Pierin Vincenz und andere noch die stramme Ansage, dass eine Veröffentlichung ausgeschlossen sei. Schon alleine die Unschuldsvermutung spreche dagegen.
Das war ernst gemeint, obwohl die saftigsten Stellen der Anklage schneller bei den Medien als bei den Angeschuldigten ankamen. Immerhin bequemte sich das Bezirksgericht – im Gegensatz zum Staatsanwalt –, wegen den ständigen Brüchen des Untersuchungsgeheimnisses, des Bankgeheimnisses und des Geschäftsgeheimnisses Anklage gegen Unbekannt zu erheben.
Das wird zwar nichts bringen, aber eigentlich ist die Quelle all dieser Leaks, die die Untersuchung seit drei Jahren begleiten, überhaupt nicht unbekannt. Da die Angeschuldigten wohl ausfallen, bleibt nur noch die Staatsanwaltschaft selbst – oder einer der Privatkläger.
Die NZZ hat sich die ganze Anklageschrift besorgt
Nun verkündet die NZZ stolz, dass ihr die gesamte Anklageschrift vorliege. Das ist toll, denn konsequenterweise müsste das BG nun eine zweite Strafanzeige auf den Weg bringen. Diesmal nicht gegen Unbekannt, sondern gegen die NZZ und deren Redaktorin Zoé Baches.
Die betreut seit Anfang den Fall Vincenz, hat eher zurückhaltend berichtet, sich dann aber kurz vor der Anklagerhebung zu weit aus dem Fenster gelehnt, als sie spekulierte, dass Gespräche über einen Deal – also Strafbefehl gegen Schuldeingeständnis, dafür kein Prozess – mit Hochdruck geführt würden.
War dann nix. Nun also sozusagen die Rehabilitierung: ätsch, ich habe die ganze Anklage. Immerhin moniert die NZZ: «Die Beklagten dürfen sich zudem zur Sache gar nicht äussern, eine befremdliche Auflage der Staatsanwaltschaft und nun auch des Bezirksgerichts.» Da sie das auch nicht tun, sind die Meinungen längst gemacht, das Urteil der Medien und der Öffentlichkeit gefällt.
Als Begründung für diese neue Straftat, die Verwendung der Anklageschrift, nimmt die NZZ genau diese Vorverurteilung als Vorwand. Dialektiker und Scholastiker hätten eine Freude daran.
An dieser Nachbereitung durch die NZZ fallen vier Dinge auf:
- Offensichtlich sind alle spektakulären Anschuldigungen bereits lang und breit durch die Medien gerauscht. Da kann Baches nur Genaueres, aber nichts Neues bieten.
- Völlig zu Recht weist sie darauf hin, dass sämtliche nun angeklagte Spesen von allen zuständigen Stellen bei Raiffeisen immer ohne Beanstandungen durchgewinkt wurden. Die Frage, ob ein – auch kostspieliger – Besuch in einem Stripclub als Geschäftsspesen gelten kann, ist nicht per se mit nein zu beantworten. Denn wie konstatiert Baches richtig: «Gerade im Finanzsektor ist ein Geschäftsessen in einem solchen Rahmen nicht wirklich aussergewöhnlich.»
- Das gilt auch für diverse Geschäftsreisen, die Vincenz vom Staatsanwalt als privates Vergnügen angekreidet werden. Ob bei einem Golfausflug Geschäftspartner oder potenzielle Kunden dabei waren, wer kann das im Nachhinein noch sagen?
- Schliesslich fällt auf, dass die angeblichen Delikte des Kompagnons von Vincenz im Vergleich bedeutend kleiner sind. Ihm wird vor allem vorgeworfen, neun angeblich private Nachtessen auf Geschäftsspesen abgerechnet zu haben. Und seine Frau auf Kosten der Aduno auf drei Geschäftsreisen ins Tessin mitgenommen zu haben. Verursachter «Schaden»: 1989 Franken für die Flüge, 16’635 Franken für die Abendessen.
Anklage auf wackeligen Füssen
Der Kompagnon bezeichnet die Nachtessen als eindeutig geschäftlich. Die Mitreise seiner Frau erklärt er schlüssig mit einem Nervenleiden, das seine Sehkraft deutlich eingeschränkt habe. Da er das nicht offiziell machen wollte, habe er seine Frau als Orientierungshilfe benötigt.
Offensichtlich will sich Baches in einem zweiten Teil dann den übrigen Anschuldigungen widmen. Aber schon bis hierher wird einmal mehr klar: Die Anklage steht auf ganz, ganz wackeligen Füssen. Schon dann, wenn lediglich einfacher Spesenbetrug vorgeworfen werden würde.
Aber der Staatsanwalt hat das zu gewerbsmässigem Betrug, Urkundenfälschung und Veruntreuung hochgepumpt. Zu einer sehr wackeligen Beweislage kommt dann noch eine nicht minder wackelige juristische Brücke hinzu, die der Staatsanwalt braucht, um diese Vorwürfe begründen zu können.
Drakonische Strafen
Schliesslich fordert er für beide Hauptbeschuldigte das gleiche Strafmass. Drakonische 6 Jahre Knast. So viel hat nicht einmal der Grossbetrüger Behring gekriegt, bei dem immerhin rund 800 Millionen Franken verschwunden sind. Dagegen rund 19’000 Franken angeblicher Spesenbetrug, umfirmiert als Betrug, und dann sechs Jahre?
Kein Wunder, zerbricht sich das Bezirksgericht seit mehr als zwei Monaten den Kopf, ob es auf diese Trümmer-Anklage überhaupt eintreten sollte.
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