… ist eine Bedrohung für alle.» Ein kluger Satz von Montesquieu, dem Erfinder der Gewaltenteilung.

Ohne Montesquieu gäbe es nicht die moderne Gewaltenteilung in Legislative, Exekutive und Judikative. Also den Versuch, absolutistische Allmacht durch ein System von Checks and Balances zu ersetzen, wie das die USA nennen.

Denn absolute Macht bedeutet absolute Kontrolle, bedeutet absolute Willkür, die Herrschaft des Unrechts. Von diesen Zuständen sind wir, zumindest in der Schweiz und in Kerneuropa, weit entfernt. Auf politischen Gebiet funktioniert die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung einigermassen bis gut.

Komplizierter wird es bei der Judikative. Zum einen soll sie möglichst unabhängig von den beiden anderen Gewalten sein, um eine Verpolitisierung der Justiz zu verhindern. Bei allen Rechtsstreitigkeiten hat die Gerichtsbarkeit das letzte Wort. Niemand kann an politische Instanzen appellieren, wenn er mit einem Urteil nicht einverstanden ist.

Auf der einen Seite Machtfülle, auf der anderen Schutzprinzipien

Gleichzeitig muss sich die Justiz strikt an die geltenden Gesetze halten, insbesondere ans Strafgesetzbuch und ans Prozessrecht. Der Machtfülle des Staatsanwalts, der Untersuchungsbehörden, stehen zwei fundamentale Prinzipien zum Ausgleich dem Angeklagten zur Seite.

Das erste ist die Unschuldsvermutung. Das bedeutet im Wesentlichen, dass der Angeklagte nicht seine Unschuld zu beweisen hat, sondern der Ankläger seine Schuld, und zwar über jeden vernünftigen Zweifel hinaus und unter Einhaltung aller Vorschriften, die seine Allmacht begrenzen.

Das zweite Prinzip ist, dass bei dem geringsten Zweifel an der Schuld der Angeklagte freizusprechen ist. Behauptungen, Schlussfolgerungen, Indizien, ja sogar ein wieder zurückgezogenes Geständnis dürfen nicht ausreichen, um zu einem Schuldspruch zu gelangen.

Jeder Straffall ist anders

Wenn aber die Anwendung und Auslegung der Gesetze eine völlig klare Sache wäre, bräuchte es nicht aufwendige Prozesse mit Beweisaufnahme, umfangreichen Schriftverkehr, Plädoyers, Zeugenaussagen, Gutachten und so weiter. Da könnte man eine Maschine mit Künstlicher Intelligenz und gefüttert mit sämtlichen Gesetzbüchern, Kommentaren und Gerichtsentscheiden vorne hinsetzen, und die würde dann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein gerechtes Urteil fällen.

Da aber jeder Straffall seine individuellen Aspekte hat, geht es bei jedem Strafverfahren darum, eine möglichst gerechte Anwendung der Gesetze zu bewerkstelligen. Und dabei kann es passieren, dass Fehler gemacht werden. Aus welchen Gründen auch immer ein Fehlurteil gefällt wird. Ein Unschuldiger verurteilt, ein Schuldiger freigesprochen wird.

Richter, Staatsanwälte und andere Mitglieder der Strafverfolgungsbehörden sehen sich gerne als unfehlbar, objektiv, unbeeinflussbar, souverän über jegliche äussere Beeinflussung erhaben.

Der Mensch ist beeinflussbar, auch ein Richter

Aber sie täuschen sich. Auch sie begehen Fehler, sind voreingenommen, lassen sich von der öffentlichen oder der veröffentlichten Meinung beeinflussen. Insbesondere, wenn es sich wie beim Fall Vincenz um eine sehr bekannte Persönlichkeit handelt, einen einstmals wohlangesehenen Bankenchef mit beeindruckendem Leistungsausweis.

Wer seine orchestrierte mediale Hinrichtung in den letzten drei Jahren auch nur ansatzweise verfolgt hat, weiss, dass hier von einem unvoreingenommenen Gericht keine Rede mehr sein kann. Im Gegenteil, in kaum einem anderen Straffall war die Gefahr so gross, dass die mediale Vorverurteilung in einer Verurteilung durch das Gericht endet.

Krasses Fehlurteil der manipulierten öffentlichen Meinung

Nun könnte man sagen: Pech für Vincenz, und dieses Spesengebaren war wirklich übel, wenn er zudem noch in den eigenen Sack gewirtschaftet hat, dann hat er doch jede Strafe verdient.

Das wäre aber ein weiteres krasses Fehlurteil. Es geht nicht um moralisch ethische Bewertung eines Verhaltens, sondern um die Frage, ob damit Gesetze übertreten wurden – oder nicht. Es geht darum, dass das Unrecht meistens einem Einzelnen widerfährt.

Es geht darum, dass das allen anderen nicht egal sein kann. Weil es ihnen auch passieren könnte, weil ein Fehlurteil nicht nur eine Tragödie für den Betroffenen ist. Sondern gleichzeitig eine Bedrohung für alle.

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