Ob Griff ans Portemonnaie im Gedrängel oder eine Collateralized Dept Obligation (CDO) über den Counter: was ist erlaubt, was verboten?
Tradition, gesundes Volksempfinden und auch das Strafrecht hat am liebsten klare und einfache Fälle. Der eine klaut dem anderen im Gedränge das Portemonnaie und wird dabei erwischt: klare Sache, keine Diskussion.
Einer greift in ein Kässeli, das nicht ihm gehört und was er auch nicht darf: klare Sache, keine Diskussion. Jemand errichtet ein ganzes Lügengebäude, und sei das auch nur, dass er eine Geheimformel besitzt, mit der er ihm anvertrautes Geld Junge kriegen lässt: klare Sache, keine Diskussion. Wir haben den Bereich von Entwendung, Diebstahl verlassen und sind in den Betrug gewechselt.
Tut das jemand regelmässig, fast schon aus Gewohnheit, sprechen wir von gewerbsmässigem Betrug, der schwerer als der einfache bestraft wird. Richtig so; wer arme Omas mit dem Enkeltrick abzockt, gehört in den Knast. Wer nicht zwischen meins und deins unterscheiden kann, gehört auch in den Knast.
Wie steht es um die Strafbarkeit von finanziellem Gebastel?
Wer grobfahrlässig Finanzkonstrukte bastelt, die mit Fantasienamen wie «Total Return» versieht und dabei weiss, dass nur eines sicher ist an ihnen: seine Kommission, während der Laieninvestor nicht mal kapiert, dass er nicht in Blue Chips und erstklassige Schweizer Obligationen im «Basket» investiert, garantiert von seiner Hausbank, sondern in einen Wettschein, der von irgend einem Ableger auf den Virgin Islands emittiert worden ist, das sollte auch eine klare Sache ohne Diskussion sein.
Ist es auch, der Hersteller und der Vertreiber, nicht zuletzt der Anlageberater alleine schon über Retrozessionen, verdienen sich eine golde Nase daran, während der Anleger, wie im Fall der dabei federführenden Lehmann Brothers, der US-Zockerbank, die als eine der ersten pleite ging, in die Röhre schaut.
Es gilt häufig: Lesen Sie mal die AGB
Denn das ist weder Diebstahl, noch Betrug, schon gar nicht gewerbsmässiger Betrug. Sondern einfach «shit happens», einfach «lesen Sie mal die AGB und belästigen Sie uns nicht weiter». Die Profiteure reiten mit ihren Kommissionen, Fees und Retrozessionen in den Sonnenuntergang, und fertig.
Obwohl sie Finanzinstrumente unter Missbrauch des Vertrauensverhältnisses an laienhafte Kleininvestoren verscherbelten, die eine CDO allenfalls für eine original CD halten. Swaps, Hebel, Derivate: da verstehen sie nur Bahnhof.
Wie das Publikum auch. Was Pierin Vincenz in den 16 Jahren seiner Karriere bei Raiffeisen genau gemacht hat, weiss das Publikum auch nicht wirklich. War schon irgendwie ein Riesentyp, aber nach dem, was wir jetzt wissen, also pfuibäh.
Einfache Delikte und Delikte, einfach gemacht
Was weiss das Publikum? Dank einer löchrigen Staatsanwaltschaft und wohlinformierten Privatklägern weiss die Öffentlichkeit, unter Mithilfe von begierig jede strikt vertrauliche Information publizierenden Medien, dass Vincenz gerne horrend teure Ausflüge ins Rotlicht doch tatsächlich mit seiner Firmenkreditkarte bezahlte und somit auf Spesen nahm.
Dieser Lüstler, dieser Schlingel, dieser Verbrecher? Spesenbetrug ist ein so einfaches Delikt, dass es jeder versteht. Nicht zuletzt, weil das viele Angestellten schon selber praktizierten oder praktizieren.
Komplizierter ist dann schon die ungetreue Geschäftsbesorgung. Aber auch die kann man der Öffentlichkeit vereinfacht einflössen: Wenn jemand Geschäfte, die er im Auftrag seines Arbeitgebers abschliesst, auch dazu verwendet, für sich selbst eine Scheibe abzuschneiden.
Kompliziertes kann auch einfach gemacht werden
Hier wird’s aber schnell und hübsch kompliziert. Weil dem Übeltäter nicht nur nachgewiesen werden muss, dass er vorsätzlich so gehandelt hat. Also faktisch zum Beispiel auf beiden Seiten des Verhandlungstisches sass, auf der einen Seite einen Kauf beschloss, auf der anderen Seite davon profitierte.
Schon da wird’s unübersichtlich im Fall Vincenz. Aber, noch blöder für die Staatsanwaltschaft: Damit es ungetreue Geschäftsführung wird, muss ein Schaden entstanden sein. Wenn aber diese Geschäfte für Raiffeisen profitabel waren (und auch für Vincenz), dann fehlt ein nötiges Element für Untreue.
Wie kriegt man einen Schaden hin?
Richtig finster wird es in diesem Fall aber durch die Tatsache, dass die neue Raiffeisen-Führung durch nachträgliche Abschreibungen einen solchen Schaden konstruieren will. Und gleichzeitig sich davor drücken, vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Vincenz und seinem Kompagnon in der Höhe von rund 100 Millionen Franken nachkommen zu müssen.
Wer ist hier der Dieb, wer der Bestohlene? Auf der öffentlichen Bühne sind die Rollen klar verteilt. Aber hinter dem Vorhang, wo das eigentliche Stück gegeben wird, ist die Rollenverteilung alles andere als klar.
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