Wahrheit, Gerechtigkeit? Wenn’s sein muss. Als Kollateralschaden der Rechtsprechung.

Für den neuen CEO der UBS gilt die Unschuldsvermutung. Die News ist, dass im Zusammenhang mit einem Geldwäscheskandal seiner vorherigen Bank gegen ihn eine Strafuntersuchung eröffnet wird. Nachdem er zuvor von jeglicher Beteiligung entlastet worden war.

Das ist nicht schön und sicherlich nicht die Art, wie er seine neue Stelle antreten wollte. Aber schon wird in den Medien spekuliert, ob er die ersten 100 Tage im Amt überlebt. Dabei ist er nicht mal angeklagt, geschweige denn verurteilt. Ausser in den Medien.

Für Pierin Vincenz gilt ebenfalls die Unschuldsvermutung. Auch er ist nicht mal angeklagt (die Klageschrift der Staatsanwaltschaft muss zuerst noch vom Gericht angenommen werden). Und selbst wenn, bis zu einem rechtsgültigen Urteil ist er so unschuldig wie jeder andere, nicht vorbestrafte Bürger in der Schweiz.

Irreparable Rufschädigung 

In Wirklichkeit ist seine Reputation, sein Ruf, seine Lebensleistung irreparabel zerstört. Nur, weil ein Staatsanwalt nach der Wahrheit und nach Gerechtigkeit sucht? Das ist – auch – im Fall Vincenz lachhaft. Aber nicht für die Betroffenen.

Im Fall des UBS-CEO geht es zudem um einen klaren Straftatbestand. Geldwäscherei. Dass die stattfand, ist erwiesen, seine Ex-Bank zahlte eine rekordverdächtige Busse von 775 Millionen Euro dafür. Ob der CEO als damals Leiter der Bank sich ebenfalls strafrechtlich etwas zuschulden kommen liess, wird zurzeit nochmals untersucht. Ausgang völlig offen.

Das ist im Fall Vincenz schon im Ansatz komplizierter. Zuerst ermittelte der Staatsanwalt, aufgrund einer Strafanzeige, dem Anfangsverdacht auf ungetreue Geschäftsbesorgung hinterher. Also Vincenz habe zum Schaden seines Arbeitgebers vorsätzlich in den eigenen Sack gewirtschaftet.

Wenn der Verdacht sich auflöst, verdächtige einfach was anderes

Problem dabei: der Schaden für den Arbeitgeber liess sich nicht belegen; alle diese Geschäfte waren hochprofitabel. Und ohne Schaden keine Untreue. Also wechselte der Staatsanwalt fliegend von Untreue auf Spesenbetrug. Nun ist Spesenbetrug zwar ein Straftatbestand, aber ein minderer. Er würde keinesfalls eine dreijährige Untersuchung, monatelange U-Haft und Millionen von Untersuchungskosten rechtfertigen.

Letzteres interessiert den Staatsanwalt weniger; der Steuerzahler darf ungefragt blechen. Aber nur Spesenbetrug, das wäre mal wieder «der Berg hat eine Maus geboren». Peinlich, Gesichtsverlust, schon wieder eine Untersuchung in den Sand gesetzt.

Wenn das Strafmass zu klein ist, nimm ein anderes

Also zwirbelt der Staatsanwalt gewerbsmässigen Betrug und Urkundenfälschung und Veruntreuung aus dem Hut. Das rechtfertigt einen Strafantrag von 6 Jahren. Aber wie kann er das rechtfertigen? Bei Betrug braucht es wieder ein Element, das gar nicht so einfach zu beweisen ist: Arglistigkeit. Einfach bescheissen oder in den eigenen Sack wirtschaften, das reicht nicht.

Da kam aber dem Staatsanwalt zu seiner grossen Erleichterung ein Bundesgerichtsurteil zu Hilfe. Das hatte das Urteil gegen einen externen Vermögensverwalter bestätigt. Indem er seiner Mandantin nicht nur ihm bezahlte Retrozessionen nicht weitergab, was noch nicht Betrug ist, sondern ihr auch die Möglichkeit nahm, sie einzufordern, indem er sie über die Existenz nicht informierte, betrat er das Gebiet der Arglist, somit des Betrugs. Somit wurde er zu einer unbedingten Gefängnisstrafe verurteilt.

Nun betrat der Staatsanwalt in seiner Not juristisches Neuland. Indem Vincenz mehrfach seinen Arbeitgeber über die geschäftliche Notwendigkeit seiner Spesen täuschte, beging er nicht einfach Spesenbetrug, sondern gewerbsmässigen Betrug. Indem er diese falschen Spesenabrechnungen unterschrieb, beging er Urkundenfälschung. Indem er seine Geschäftskreditkarte benützte, beging er Veruntreuung.

Was hat das mit Gerechtigkeit zu tun?

Das ist nichts anderes als der Versuch eines Staatsanwalts, eine eigentlich einzustellende Untersuchung – Anfangsverdacht konnte nicht erhärtet werden – zur Anklage zu retten. Um bei einem allfälligen Freispruch sagen zu können: Das war das Gericht, ich habe meine Arbeit korrekt erledigt.

Was hat das alles mit Gerechtigkeit, Wahrheit, Unschuldsvermutung, im Zweifel für den Angeklagten zu tun? Eigentlich nichts. Oder höchstens am Rande, als Kollateralschaden. Justiz als Testgelände für kühne rechtliche Konstruktionen. Ein Skandal.

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