Was hat der Rotlichtbanker und Spesenritter Vincenz zwischen 1999 und 2015 getan?
Seit fast drei Jahren ist sein Image einbetoniert. In den eigenen Sack gewirtschaftet, Spesenritter mit Hang zu Rotlicht und Luxus. Abgehoben, Alleinherrscher, unanständig. Welche Enttäuschung, dabei dachten wir, er sei die Ausnahme, der Gutbanker, der joviale Kumpeltyp, der einfache Bergler aus Graubünden.
Und nun das. Sagenhafte 250’000 Franken verjubelt, mindestens 8 Millionen zu Unrecht eingesackt. Unglaublich, pfui, wieso fordert der Staatsanwalt nur 6 Jahre, der müsste doch gleich lebenslänglich in den Knast.
Dieses Bild ist von vielen kleinen und grossen Helfern ausgemalt, ausgeschmückt und solange wiederholt worden, bis es sich ins Hirn und ins Gedächtnis eingebrannt hat.
Was bleibt von Mann und Werk?
Macht das Mann und Werk aus? Bleibt das übrig? Sonst war alles nichts, zumindest überschattet von diesen Vorwürfen? Dass die Medien, schneller als der schnellste Wendehals, von Lobliedern, Lobhudeleien, Banker des Jahres, so sympathisch, der Typ usw. schlagartig auf Entrüstung, Entsetzen, Verurteilung umschalten, das ist nichts Neues.
Neu ist aber, dass das beeindruckende Lebenswerk von Vincenz völlig ausgeblendet wird. Natürlich macht das seine Verfehlungen, sollten sie bewiesen werden, keinen Deut besser. Aber es kann nicht sein, dass von Vincenz nur der auf Geschäftskosten Spesen verjubelnde Unanständig-Banker bleibt. Der 250’000 an Spesen für Wein, Weib und Gesang ausgab. Der aber auch Multimillionen an Gewinnen für Raiffeisen einfuhr.
Denn während dessen war er noch so nebenbei von 1999 bis 2015 CEO der Raiffeisen Schweiz. In dieser Zeit gab es für eigentlich alle Kernzahlen nur eine Richtung: nach oben. Die Bilanzsumme übersprang 2003 die 100-Milliarden-Schwelle, 2015 war sie bereits auf 202 Milliarden verdoppelt. Ebenso wie der Deckungsgrad der Eigenmittel. 2019 betrug die Bilanzsumme 248 Milliarden Franken.
Nicht nur mit Zahlen, mit allem nach oben
Gleichzeitig wurde aus dem langsam Staub ansetzenden Konglomerat von grösseren und ganz kleinen Raiffeisen-Genossenschaften eine schlagkräftige Einheit, mit einer Zentrale in St. Gallen, die so erfolgreich war, dass die auf ihre Unabhängigkeit eifersüchtig bedachten Regional- oder Kantonalfürsten sich alle Entscheidungen von Vincenz klaglos gefallen liessen.
Gab es da und dort leichtes Murren, tauchte Vincenz höchstpersönlich bei der Genossenschafterversammlung auf, liess seinen Bergler-Charme sprühen, setzte sich anschliessend noch zur geselligen Runde, und alles war wieder gut.
3,8 Millionen Kunden, fast 2 Millionen Genossenschafter, modern aufgestellt, nach dem Land auch die Städte erobernd, Nummer eins im Hypothekarmarkt, Nummer drei auf dem Schweizer Finanzplatz, nur noch von den beiden Grossbanken überholt, aber noch vor den Kantonalbanken.
Ohne Havarie, ohne Kratzer durch stürmische Zeiten gesegelt
Vor allem aber: ohne den kleinsten Kratzer durch die Finanzkrise 2009 gesegelt. Ohne den geringsten Kratzer durch den Steuerstreit mit den USA geflogen. Keinerlei Probleme mit ausländischen Kunden aus aller Herren Länder. Keine Skandale. Dafür eine Geschäftsleitung, die insgesamt so viel verdiente, wie ein Grossbanken-CEO (ohne Bonus) in einem halben Jahr. Für eine grottenschlechte Performance, für halbierte Aktienkurse, für Multimilliardenbussen.
Während Vincenz von Triumph zu Triumph, Erfolg zu Erfolg eilte. Um dann unter Jubelchören, Dankeshymnen, mit feuchten Augen verabschiedet zu werden. Seine langjährige Nummer zwei führte dann die Erfolgsstory weiter; 2018 konnte Patrik Gisel das beste Jahresergebnis aller Zeiten seit Gründung von Raiffeisen Schweiz im Jahre 1902 verkünden.
Gesundes Wachstum aller Orten, IT-Projekt vor dem Abschluss, alle Signale auf Grün. Nur interessierte das in diesem Moment keinen mehr. Denn kurz zuvor war – für die Öffentlichkeit aus heiterem Himmel – Vincenz verhaftet worden und schmorte dann mehr als 100 Tage in U-Haft.
Der einzige Bankboss mit positiver Bilanz in diesem Jahrtausend
Natürlich hat Vincenz nicht alleine diese einmalige Erfolgsstory fabriziert. Aber er war wesentlich und in führender Funktion daran beteiligt. Er ist der einzige, aber wirklich der einzige Bankboss, der in diesem Jahrtausend eine beeindruckend positive Leistung vorweisen kann.
Ebenso wie sein direkter Nachfolger. Und im Gegensatz zu den aktuell führenden Figuren. Grosse Ankündigungen, grosses Wehklagen über angebliche Schlamassel der Vorgänger, die zuerst aufgeräumt werden müssten. Aber die Zahlen? Nun, es wurde zum Beispiel auch ein «marktübliches Wachstum» in der Paradedisziplin Hypotheken versprochen. Das Segment wuchs auch, aber zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren 2019 geringer als der Markt.
Natürlich traut sich niemand, innerhalb von Raiffeisen auszusprechen: Das wäre unter Vincenz oder Gisel nicht passiert. Das wäre aber die Wahrheit. Denn grosse Ankündigungen sind das eine. Zahlen das andere – und Wichtigere.
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