Vor einem Monat Thema zwei hinter Corona. Heute? War da was?

So schnell verfliegt die Aufmerksamkeit der Qualitätsmedien, überhaupt der Medien in der Schweiz. Vor rund einem Monat gab es ein grosses Hallo.

Nach fast drei Jahren Ermittlungen hatte der Staatsanwalt eine gewaltige Anklageschrift auf den Tisch des Bezirksgerichts Zürich gewuchtet.

Insgesamt 8 Angeklagte, bei den beiden Hauptbeschuldigten geht es nicht mehr um ungetreue Geschäftsbesorgung, das war ja nur mal ein Anfangsverdacht. Sondern um richtig schlimnme Dinge; Betrug, und zwar gewerbsmässiger. Urkundenfälschung. Veruntreuung. Bestechung.

Also alles Straftatbestände, die für jeden ehemaligen oder aktuellen Mitarbeiter in der Finanzwelt mehr als tödlich sind. Vernichtend. Das tat der stolze Staatsanwalt in einer Pressemitteilung kund, ebenfalls, dass er für die beiden Hauptbeschuldigten drakonische 6 Jahre Gefängnis fordere, plus die Einziehung von rund 24 Millionen Franken.

Ruf ruiniert, Finanzen ruiniert, stigmatisiert

Damit wäre nicht nur der Ruf und die Finanzen von Pierin Vincenz ruiniert. Sondern er wäre lebenslänglich stigmatisiert als der erste und einzige Bankführer, der in der Neuzeit in den Knast musste. Viele geldgierige Bonusbanker, die unfähig und fahrlässig ihre Banken beinahe gegen die Wand fuhren, die Aktionäre um bis zu 80 Prozent ihrer Investitionen brachten, hätten das viel mehr verdient.

Erfreuen sich aber ihrer Freiheit und ruhen sich auf den Multimillionen aus, die sie natürlich in Sicherheit gebracht haben. Das macht zwar ein allfälliges Delikt durch Vincenz nicht kleiner oder besser. Rückt aber etwas die Verhältnisse zurecht.

Aber nicht nur das drakonische Strafmass sorgte für eine Artikelschwemme. Es trat in den Hintergrund, als die Vorwürfe im Rahmen des mutmasslichen Spesenbetrugs haarklein an die Medien verfüttert wurden. Gemunkel gab es schon vorher, aber nun konnte fröhlich aus der Anklageschrift zitiert werden.

Detaillierter Einblick in die Spesen von Vincenz

Die ist zwar strikt vertraulich, strafbewehrt beschützt und alle Prozessbeteiligten, inklusive Angeschuldigte, haben einen Maulkorb verpasst bekommen und dürfen kein öffentliches Wort dazu sagen. Aber genauso wie alle Informationen, die während den ganzen drei Jahren immer wieder an die Presse durchsickerten, ist das dem Staatsanwalt völlig egal.

Erst das Bezirksgericht erhob sofort Strafanzeige gegen Unbekannt. Aber da war der zusätzliche Schaden schon längst angerichtet. Minutiös und immer unter Verweis auf die Anklage wurden haarklein alle Ausflüge auf Spesen von Vincenz ausgebreitet.

Inklusive Reisen und beschädigtes Mobiliar in einer Hotelsuite. Alles auf Spesen, alles auf Kosten von Raiffeisen. Alles bislang unbewiesene Anschuldigungen durch einen Staatsanwalt, der mit diesem Fall nicht zum ersten Mal auf die Schnauze fallen würde, wenn das Gericht ihm nicht folgt.

Unschuldsvermutung im Stripclub?

Aber von so einer dummen Unschuldsvermutung lässt man sich doch nicht einen saftigen Artikel kaputt machen, in dem man auch vor moralischer Entrüstung erzittern darf, wie konnte Vincenz nur, unglaublich. Man möchte allerdings nicht wissen, wie viele der entrüsteten Journalisten nicht schon selbst lieber den Arbeitgeber etwas haben zahlen lassen, als für die privaten Kosten selber aufzukommen.

Nach aller Erfahrung sind das nämlich die meisten. Nur spielt sich bei denen der Spesenbetrug in viel kleineren Dimensionen als beim CEO der drittgrössten Schweizer Bank ab. Da kommt sicherlich noch Neid hinzu.

Aber die Nacherzählung aller zur Auswertung vorgeworfenen Brocken hat dann auch mal ein Ende. Da die Fähigkeit zur Eigenrecherche völlig verkümmert ist (siehe den unvollständigen Fragenkatalog), war’s das dann mal.

Corona behauptet weiterhin unangefochten die Spitzenstellung, und nach dem Abstimmungssonntag interessiert sich doch keiner mehr für Vincenz und seinen Prozess – oder seine Unschuldsvermutung.

Inzwischen fast keine Artikel mehr

Wenn man die ganzen Kopien in den Kopfblättern von Tamedia und CH Media nicht zählt, erschien in der vergangenen Woche eine Handvoll Artikel. Genauer: Man braucht nicht mal alle Finger einer Hand, um sie zu zählen.

Tamedia hat die Berichterstattung völlig eingestellt, CH Media hat sich zu zwei Artikeln aufgerafft. Ein sehr schönfärberisches Fernporträt über den Staatsanwalt «Er will Pierin Vincenz hinter Gitter bringen» – und die gar nicht neue News, dass sich einer der Angeschuldigten, der absurderweise durch die Teilnahme an einer von Raiffeisen bezahlten und von Vincenz ausgerichteten Dankeschön-Reise der «Beihilfe zur ungetreuen Geschäftsführung» schuldig gemacht haben soll, auf einen Strafbefehl verständigt hat.

Abfüttern ja, arbeiten nein

Das bedeutet, dass er lieber ohne Prozess und möglicherweise langjährige Verwicklungen lieber ein minderes Schuldgeständnis ablegt, eine Busse zahlt und Schluss ist. Der zweite Mitreisende sieht das übrigens nicht so und prozessiert. Für einen sicheren Freispruch.

Das war’s also zurzeit im Fall Vincenz. Offensichtlich gibt es momentan nichts, womit die Medien angefüttert werden könnten. Und selber recherchieren, denn dahinter steckt bekanntlich ein veritabler Justizskandal, ach was, das würde ja in Aufwand ausarten.

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