Wohl jeder hat Dinge getan, auf die er nicht stolz ist. Damit muss jeder für sich fertigwerden. Aber in der Öffentlichkeit?
Man erinnert sich noch dunkel an den Fall Kachelmann. Der Wetterfrosch, Typus sympathischer Schwiegersohn, wurde von einer Geliebten angezeigt, er habe sie mit dem Tode bedroht und vergewaltigt.
Damit war seine Karriere jäh am Ende, auch er schmorte in U-Haft. Im Verlauf der beinahe öffentlich geführten Strafuntersuchung kam heraus, dass Kachelmann ein eher ungewöhnliches Privatleben hatte. Mit diversen Geliebten plus einer Ehefrau, die alle nichts voneinander wussten und die er alle mit «Lausemädel» anredete, damit es beim regen Mitteilungsaustausch nicht zu Verwechslungen kam.
Damit war auch noch sein Ruf ziemlich ramponiert, ganz abgesehen von der Anklage. Auch der Prozess fand quälend lang öffentlich statt. Und endete in einem Freispruch. Wobei das Gericht ihm noch nachrief, dass es nicht von seiner Unschuld überzeugt sei, aber im Zweifel für den Angeklagten entscheiden musste, weil seine Schuld nicht genügend bewiesen wurde.
Fall für Fall öffentliche Hinrichtung
Ist der Fall Vincenz damit vergleichbar? Man erinnert sich noch dunkel an den Fall Roland Nef. Gerade erst zum Militärchef gewählt, musste er sein Amt schon wieder räumen. Er hatte eine Trennung nicht verkraftet und seine ehemalige Partnerin monatelang gestalkt. Sie zog zwar ihre Strafanzeige – gegen eine Wiedergutmachung im Rahmen der Gesetze – zurück.
Aber die SonntagsZeitung deckte den Fall auf und schoss aus allen Rohren gegen den Militär. So gab und gibt es eine Unzahl von Fällen – auch in der Schweiz –, indem zumindest die Frage gestellt werden muss, wie weit privates Fehlverhalten von öffentlichem Interesse ist und vor allem eine verantwortliche Tätigkeit in Frage stellt oder sogar unmöglich macht.
Man erinnert sich dunkel sogar an einen US-Präsidenten, der kein Kind von Traurigkeit war und mit Marilyn Monroe – unter anderen – eine halboffizielle Affäre hatte. Oder ein anderer, der dem Präsidentenbüro den Übernamen Oral Office verpasste.
Anschuldigungen und Unschuldsvermutung
Nun haben wir seit drei Jahren wieder einen Fall, in dem Details aus dem Privat- oder sogar Intimleben eines ehemaligen Bankenstars detailliert in der Öffentlichkeit ausgebreitet werden. Zuerst wurde er der ungetreuen Geschäftsbesorgung beschuldigt. So ziemlich der schlimmste Vorwurf für einen führenden Manager; er habe zum Schaden seiner Bank in den eigenen Sack gewirtschaftet.
Diese Beschuldigung hing über ihm bis zur Anklageschrift. Hier ist sie nur mehr unter ferner Liefen oder unter «eventualiter» übrig geblieben. Aber, was schon während den drei Jahren Untersuchung durchsickerte, auch Pierin Vincenz soll im Privaten über die Stränge geschlagen haben. Seinen Hang, in eher schummrigen Etablissements sehr viel Geld auszugeben, kann man verachten und verurteilen.
Dabei sollte man nicht vergessen, dass es sich bislang um Anschuldigungen eines Staatsanwalts handelt. Noch kein Beweis geführt, kein Urteil gefällt. Vor allem darüber, ob Vincenz dafür seine Firmenkreditkarte verwendete oder die Spesen, obwohl nicht geschäftsbedingt, seiner Bank aufbürdete.
Schmutzige Wäsche in der Öffentlichkeit waschen?
Selbst wenn, wie ist es möglich, dass alle Kontrollinstanzen bei Raiffeisen, beim VR-Präsidenten und Professor für Unternehmensführung an der HSG angefangen, angeblich selbst Spesen visierten, auf denen nur das Wort Spesen, ein fünfstelliger Betrag und die Unterschrift von Vincenz standen?
Gab es nicht viele, sehr viele, die über Kachelmann den Stab brachen; schon vor dem Urteil und danach auch? Kann es richtig sein, dass solche Privatangelegenheiten an die Öffentlichkeit geraten? Falls sie mit möglicherweise strafbaren Handlungen verbunden sind, müssen sie selbstverständlich strafrechtlich abgeklärt werden.
Aber in Form eines öffentlichen Waschens schmutziger Wäsche? Vor einem Publikum, das sich teilweise darüber entsetzt, aber begierig jedes saftige Detail runterschluckt, das ihm serviert wird?
Der mittelalterliche Pranger sieht heute nur anders aus
Pierin Vincenz ist bis heute so unschuldig wie alle Leser dieses Blogs (auch wenn sie vorbestraft sein sollten, auch wenn sie gerade jetzt in einen Strafprozess verwickelt sind). Gerade hat das für seinen Fall zuständige Bezirksgericht die Veröffentlichung der Anklageschrift abgelehnt, weil das mit der Unschuldsvermutung nicht vereinbar sei.
Ein Witz, ein böser Witz. Selbst die Anklageschrift ist bereits an die Öffentlichkeit gelangt, und wer bei Vincenz «unschuldig» denkt, ist ein Heiliger. Genau deshalb wurde der mittelalterliche Pranger abgeschafft. Und durch einen medialen ersetzt.
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