Jeder weiss: der richtige Zeitpunkt ist entscheidend. Das merkte schon Napoleon bei Waterloo. Das ist auch dem Staatsanwalt in der Causa Vincenz klar.

Gibt es Zufälle? Aber sicher. Gibt es die Verwechslung von Korrelation mit Kausalität? Aber sicher. Nachdem die schwarze Katze einem über den Weg gelaufen ist, fällt einem vom Balkon ein Blumentopf auf den Kopf.

Korrelation vorhanden, Kausalität nicht. Aber in der Strafuntersuchung gegen Pierin Vincenz und andere gibt es jede Menge Zufälligkeiten. Nicht nur Korrelationen. Fangen wir von hinten an.

Am 30. Oktober 2020 reichte der Staatsanwalt nach fast dreijährigen Ermittlungen eine 364 Seiten umfassende Monster-Anklageschrift beim Bezirksgericht Zürich ein. Er liess durchsickern, dass am kommenden Dienstag mit einer Medienorientierung zu rechnen sei.

Anklage war schneller bei den Medien als bei den Angeschuldigten

Bereits ab Montag überboten sich einige Medien mit der Ankündigung der Einreichung; schnell auch mit den saftigsten Stellen über die Spesengebräuche von Vincenz. Offensichtlich eins zu eins aus der Anklageschrift kopiert.

Das bedeutet, dass diese Stellen schneller bei den Medien als bei den Angeschuldigten waren, denn das erledigt die Staatsanwaltschaft bis heute nicht elektronisch, sondern mit dem guten, alten Postpaket.

Nun ist eine solche Anklage strikt vertraulich, diese hier unterliegt zusätzlich noch einer Geheimhaltungsverfügung des Staatsanwalts. Aber obwohl schon während der ganzen Untersuchung immer wieder strikt geheime Zwischenergebnisse an die Medien durchgereicht wurden, hielt es der Staatsanwalt nicht für nötig, dem mit einer Strafanzeige nachzugehen.

Widerspricht der Unschuldsvermutung

Was das Bezirksgericht sofort tat, wie es in seiner ersten Medienmitteilung bekannt gab. Allerdings wolle es, wie bereits in der NZZ gefordert, die Anklageschrift keinesfalls veröffentlichen, das widerspreche der Unschuldsvermutung.

Da hörte man dröhnendes Gelächter aus den Newsrooms, Unschuldsvermutung. Nicht öffentlich. Zwei sehr gute Witze. War es auch reiner Zufall, dass die Bekanntgabe des Abschlusses der überlangen Ermittlungen ausgerechnet einen Tag vor den US-Präsidentschaftswahlen stattfand?

Gehen wir an den Anfang der Affäre zurück. Der fand im Dezember 2017 statt. Eine Anwaltskanzlei wandte sich im Auftrag der Firma Aduno an die Staatsanwaltschaft und reichte eine Strafanzeige ein. Es gäbe Verdachtsmomente, dass sich Vincenz und andere der ungetreuen Geschäftsbesorgung schuldig gemacht hätten.

Ermitteln, ermitteln, ermitteln: und nichts

Das genügte dem erfolgshungrigen Staatsanwalt als Anfangsverdacht, er nahm Ermittlungen auf. Davon erfuhren natürlich auch die Beschuldigten. Also ermittelte der Staatsanwalt und ermittelte. Und ermittelte – nichts.

Nichts bedeutet normalerweise, dass sich der Anfangsverdacht nicht erhärten liess, Einstellung. In diesem Fall entschloss sich der Staatsanwalt aber zur Flucht nach vorne. Spektakuläre Verhaftungen Ende Februar 2018, spektakulär lange U-Haft. Obwohl der Staatsanwalt damals behauptete, dass die Untersuchungen weitgehend abgeschlossen seien, nur noch ein paar Details.

Deshalb werde die U-Haft sicher auch nicht lange andauern. Sie wurde dann verlängert und verlängert, bis der Haftrichter nicht mehr mitspielte und nach über 100 Tagen die Hauptbeschuldigten freiliess. Was war eigentlich der Grund dafür? Kollusionsgefahr, also mit der U-Haft soll verhindert werden, dass sich Angeschuldigte absprechen, Beweismittel verschwinden lassen. Von teilweise zehn Jahre zurückliegenden Transaktionen?

Ab Juni 2018 nahm das Unheil seinen weiteren Lauf

Das war im Juni 2018, kurz vor den Sommerferien. Um diese Zeit zu überbrücken, kündigte der Staatsanwalt nochmals an, dass demnächst, wohl noch vor Ende 2018, mit einer Anklage zu rechnen sei. In Wirklichkeit war das der für ihn kritischste Moment der ganzen Affäre.

Er musste rechtfertigen, wieso er den ehemaligen CEO der drittgrössten Bank der Schweiz so lange in U-Haft schmoren liess. Und er hatte nichts in der Hand, mit dem er das Geschäften in den eigenen Sack, unter bewusster Inkaufnahme der Schädigung des Arbeitgebers, beweisen konnte.

Also liess er das Jahr verstreichen, ohne anzukündigen, dass er schon längst nicht mehr wegen ungetreuer Geschäftsbesorgung ermittelte. Sondern wegen Spesenbetrug. Dabei verging das Jahr 2018. Das Jahr 2019. Fast das ganze Jahr 2020.

Ankündigungen und Dokumente sickern durch

Lediglich unterbrochen von der Veröffentlichung strikt geheimer Untersuchungsergebnisse. Und von unablässigen Ankündigungen, dass jeweils «gut informierte Personen im Umfeld der Ermittlungen» sicher seien, dass die Anklageschrift nun aber demnächst, vor Ende Jahr, im ersten Quartal des nächsten Jahres, im Herbst, spätestens, doch eher im Frühling, eingereicht werde.

Nachdem das bis zur Lächerlichkeit abgenudelt war, gab es nur noch vor allem in zwei Medien, «Inside Paradeplatz» und Tamedia, ab und an «Enthüllungen». Und mehr oder minder deutliche Ankündigungen, dass sich das Ziel der Strafermittlung leicht geändert haben könnte.

Zufälle, Korrelationen oder Kausalitäten?

Alles Zufälle, alles ohne Zusammenhang mit einer in die Bredouille geratenen Staatsanwaltschaft? Alles ohne Zusammenhänge mit laufenden Zivilstreitigkeiten zwischen den Hauptbeschuldigten und Raiffeisen, bei denen es um happige 100 Millionen geht?

Man sollte nicht glauben, dass eine schwarze Katze Unglück bedeutet. Aber man sollte auch nicht glauben, dass das alles Zufälligkeiten sind.

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